Donnerstag, Oktober 26, 2006

"Respekt oder ich hau dir Fresse"

Bei den Straches, Blochers, Bossis und all den anderen Rechtspopulisten in Europa muss dieser Tage Feierstimmung herrschen, wurde ihnen doch ein unerwartetes Geschenk gemacht: In Frankreich brennen kaum ein Jahr nach den großen Unruhen schon wieder die Autos. Die Krawalle in den französischen Vorstädten wirken wie Superbenzin auf den zuletzt doch ein wenig ins Stottern gekommen Motor der nationalistischen Hetzer. "Das ist es, wozu der Multikulturalismus führt", werden sie jedem, der sie danach fragt, sagen, und sie werden abwertend von "Multi-Kulti-Wahn" und "Kulturkampf" sprechen. Am anderen Ende des politischen Spektrums herrscht ebenfalls gar nicht so klammheimliche Freude über die Randale. So mancher in die Jahre gekommene Linke fühlt sich an 1968 erinnert, und einige junge Globalisierungsgegner sehen in den nächtlichen Gewaltexzessen wenn schon nicht die Vorboten der Revolution, so doch einen gerechtfertigten sozialen Kampf. Diejenigen, die in den betroffenen Stadtvierteln leben müssen, sehen dagegen nur ihre nicht versicherten Autos brennen und fürchten, eingeklemmt zwischen den gewaltbereiten Fraktionen der Jugendlichen und der Polizei, um Leib und Leben. Es ist ein wenig wie im Irak: Gegen die übermächtige Lautstärke der US-Armee auf der einen und der terroristischen Bomber auf der anderen Seite verstummen die Opfer, die Zivilisten verschwinden aus dem Blickfeld der Nachrichtenkonsumenten.

Bei der Einschätzung der französischen Zustände liegen Rechte und Linke gleichermaßen falsch. Die vorwiegend jungen und männlichen Krawallmacher sind keineswegs antieuropäische Kulturkämpfer. Sie haben, im Gegenteil, den Ungehorsam gegen die Obrigkeit verinnerlicht, eine Eigenschaft, die kulturell so französisch ist wie Eifelturm und Lehrerstreik. Also doch eine nur leicht ungebändigte soziale Protestbewegung? Nein, denn die nachtaktiven Molotowcocktailmixer formulieren keine Forderungen außer einer: "Ihr könnt uns alle mal". Zu mehr sind sie aufgrund des Bildungsnotstandes auch nicht in der Lage. Sie schreien, haben aber nichts zu sagen.

Und hier nun endlich näheren wir uns dem wahren Kern des Problems. In den französischen Banlieus wird kein Kulturkampf geführt, kein Religionskrieg und es ist auch kein ideologisch inspirierter Aufstand. Hier macht, unabhängig von der ethnischen Herkunft, eine Generation auf sich aufmerksam, die nie etwas anderes gelernt hat, als sich im jeweiligen Freundeskreis, den man durchaus als Bande bezeichnen darf, "Respekt" zu verschaffen, sei es durch gewagte Gewaltaktionen und/oder materiellen Gewinn durch kleinkriminelle Aktivitäten, welcher wiederum der Bande zugute kommt. Fast vorbildlich im neoliberalen Sinn haben sich diese jungen Leute vom Staat, von dem sie sich ganz zu recht vernachlässigt und abgeschrieben fühlen, verabschiedet und sich eine Form von Selbständigkeit außerhalb der rechtsstaatlichen Regeln aufgebaut. Diese "neue Jugend" findet man in ganz Europa, und sie wächst dank einer gleichgültigen Politik immer stärker an. So wie auf internationaler Ebene das Recht zugunsten von Clanstrukturen zunehmend zurückgedrängt wird und die Politik wieder zum reinen Handlanger von Interessensgruppen verkommt, geschieht Analoges auch in den Vorstädten. Die Werte dieser Jugend sind Machismo, Loyalität zur Bande und Hass auf jeden, der die hauptsächlich aus Drogenhandel und Diebstahl bestehende Untergrundwirtschaft stört. Kulturell begleitet wird dies von Erscheinungen wie dem "Aggro-Hip Hop", dessen lyrische Essenz da lautet: "Respekt, Mann, oder ich hau dir Fresse". In Europa ist eine Generation herangewachsen, von der sich ein nicht unbeträchtlicher Teil nicht mehr an die Spielregeln des zivilisierten Zusammenlebens gebunden fühlt und weder auf irgendwelche Innenminister, noch auf Gewerkschafter, Muftis oder Bischöfe hört. Und das wird uns in den kommenden jahren mindestens so viel Kopfzerbrechen bereiten wie Islamismus, Nationalismus und die zunehmende Krisenhaftigkeit des Wirtschaftssystems