Dienstag, Oktober 31, 2006

Zeit zu gehen, Herr Schüssel

Wolfgang Schüssel, Noch-Chef der Österreichischen Volkspartei, hat seine großen Zeiten gehabt. Seit 20 Jahren sitzt der Mann in der österreichischen Bundesregierung, zuerst als Juniorpartner in einer großen Koalition, um dann 1999 den Coup zu landen, nach dem schlechtesten Wahlergebnis der ÖVP seit 1945 dennoch zum Kanzler aufzusteigen, indem er die Verhandlungen mit der SPÖ nur zum Schein führte und sich im Hintergrund die Unterstützung von Jörg Haiders damals 27 Prozent starker FPÖ sicherte. Zwar haben viele gestandene Bürgerliche die Nase gerümpft ob dieses "Spielens mit den Schmuddelkindern", und auch die konservativen Parteifreunde Schüssels in der EU waren alles andere als begeistert über diesen Präzedenzfall politischer Skrupellosigkeit, doch die Volkspartei stellte den Kanzler, zog die FPÖ in allen Fragen über den Tisch, stellte Haider und dessen Mitläufer mit Posten ruhig und ging daran, das Land massiv umzufärben. Schüssel startete die Aktion "Entsozialdemokratisierung Österreichs" und ersetzte wo er nur konnte rote Personen und Einflusszentren durch schwarze oder blaue. Das und vor allem der Triumph bei den Wahlen 2002, als die ÖVP die sich gerade in Auflösung befindliche FPÖ zur Hälfte übernahm, überzeugte auch die noch zögernden Parteigänger oder brachte sie zumindest zum Schweigen.

Doch das ist Vergangenheit, je nach Parteipräferenz bzw. politischem Anstandslevel eine "große" oder eine schäbige. Bei den Nationalratswahlen am 1. Oktober 2006 verlor Schüssel 8,1 Prozent der Stimmen und fand außer der SPÖ keinen realen Ansprechpartner mehr. Haiders BZÖ, das er nach seinem Abgang aus der FPÖ gegründet hatte und das Schüssel die Mehrheiten besorgte, schaffte es mit 4,1 Prozent gerade noch ins Parlament, und die FPÖ unter Heinz Christian Strache hatte nun nicht nur mit den aus ihrer Sicht "Verrätern" des BZÖ noch ein paar Rechnungen offen, sondern hatte auch aus der Vergangenheit gelernt, dass die Rolle des Mehrheitsbeschaffers für Schüssel der Garant für Wahlniederlagen ist. Plötzlich, von einem Tag auf den anderen und entgegen den Meinungsumfragen sah sich Schüssel mit der schockierenden Tatsache konfrontiert, dass er wohl nicht mehr lange Bundeskanzler sein würde. Das schmerzt.

Das schmerzt offenbar so sehr, dass Schüssel sich mit seinen Getreuen ins Trotzeckerl stellt und grummelt: "Ich mag nicht mehr spielen". Die SPÖ hat sich nämlich der Majestätsbeleidigung schuldig gemacht, indem sie gemeinsam mit den Grünen und der FPÖ zwei Untersuchungsausschüsse im Parlament beschloss. Einen zu den Vorgängen rund um den Ankauf des fliegenden Beta-Tests "Eurofighter", einen weiteren zur Aufklärung der Skandale rund um die Bank BAWAG. Anstatt dies als normale parlamentarische Vorgangsweise zu akzeptieren, schrie die ÖVP von Anfang an Zeter und Mordio und hat nun die Koalitionsgespräche mit der SPÖ "ausgesetzt", wie es von schwarzer Seite formuliert wird. Die Optik ist katastrophal und könnte die ÖVP bei eventuellen Neuwahlen weit unter die 30-Prozent-Marke abstürzen lassen. Die bisherigen Machthaber beteuern zwar, sie hätten nichts zu verbergen, wehren sich aber mit allen Mitteln gegen einen U-Ausschuss. Das ist nicht kommunizierbar und viele schwarze Parteigänger, die ich kenne, verstehen das einfach nicht mehr. Das mutwillige Boykottieren der Regierungsbildung kommt auch bei den Wählern nicht gerade prächtig an. Nicht nur innerhalb der ÖVP, sondern auch in weiten Kreisen der Bevölkerung wächst der Zorn über die Herrschaften Schüssel, Molterer, Rauch-Kallat, Grasser & Co. Die uneinsichtige Brutalität, mit der diese Truppe ein ihr nicht genehmes Wahlergebnis nicht zur Kenntnis nimmt, sich an die Macht klammert (jeden Tag, an dem keine neue Koalition zustande kommt, bleibt die alte länger am Ruder) und letztendlich Neuwahlen provoziert, wird ein Ergebnis haben, das von Wolfgang Schüssel und den seinen nicht das ersehnte sein wird: Schüssel und seine Clique werden abtreten müssen oder werden von ihrer eigenen Partei abgetreten werden. Schüssel sollte von sich aus zurücktreten, solange er noch so halbwegs sein Gesicht wahren kann.

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

In seinem Leben macht man manchmal Fehler, die man schwer bereut. So einer ist mir vor 5 Wochen passiert. Ich habe die FPÖ gewählt, weil ich am Sieg Schüssels und der ÖVP nicht zweifelte, aber mithilfe der FPÖ eine verstärkte Abwehr gegen kulturlose, islamische Einwanderer erreichen wollte.
Jetzt würde ich anders handeln. In den 6 Jahren hat die ÖVP all das gemacht, was schon längst getan hätte werden sollen. Die Pensionen saniert, die Staatsindustrie verkauft, Polizei reformiert, Familien unterstützt usw. Was aber das Wichtigste war: Es wurden die Linken aus allen wesentlichen Positionen entfernt und das nachhaltig.
Ich hoffe auf baldige Neuwahlen damit ich meinen Fehler gutmachen kann, die ÖVP wählen. Als Wiedergutmachung betreibe ich schon jetzt in meinem Bekanntenkreis massive Anti - SPÖ - GRÜN Stimmung.
Die allergrößte Frechheit beging aber ein Strache, der mit der SPÖ sich ins Bett legte.

1:06 PM  

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