Dienstag, August 29, 2006

Angstbeißer

Unser aller Lieblingskatholik, der Herr Bundeskanzler, mag gelassen wirken wie ein Phlegmatiker auf Valium, der Kärntner Landeshauptmann mag zwischen zwei Parteidochnichtneugründungen vom großen Aufschwung für “sein” Land fantasieren und jeden klagen, der nicht mitträumen will: Den Menschen geht´s trotzdem nicht so leiwand. Die ständigen Drohungen, man wolle sich sozialromantischen Klimbim wie die 40-Stunden-Woche, die Behandlung von Blinddarmdurchbrüchen, menschenwürdige Pensionen und gerechte Entgelte nicht mehr leisten wollen, sorgen für miese Laune beim Pöbel. Während die Menschenfreunde in den Chefetagen sich zwischen zwei Linien Koks darüber wundern, dass man Nackten wider Erwarten nicht in die Tasche greifen kann, zeigen die Opfer des neoliberalen Umbaus Nerven. Die Menschen haben Angst, und Angst macht bekanntlich aggressiv. Um das zu wissen braucht man kein einziges Buch von Verhaltensforschernazis und/oder Grünparteimitbegründern gelesen zu haben. Es ist so. Noch sind Fälle von Road Rage und Amok laufenden Postboten in Österreich rar, doch die menschlichen Zeitbomben ticken hörbar. Das sei anhand dreier Beispiele illustriert.

Beispiel 1: Ich lebte bis vor kurzem in einer Kleinmietwohnung in einem Haus, deren Errichtern man vieles, aber keinesfalls den verschwenderischen Umgang mit Baumaterialien vorwerfen darf. Die Wände waren so dünn, dass ich nachts meinen Nachbarn, der NICHT unter Asthma litt, so deutlich atmen hören konnte, als wäre er in meinem Bett gelegen. Ich ertrug sein Luftholen mit Langmut, doch er war nicht so tolerant. Machte ich nach 20 Uhr den Fehler, etwas über Zimmerlautstärke Musik zu hören, brüllte er verlässlich und mit voluminöser Cholerikerstimme “Aruaisjetzt” und pochte mit Händen und Füßen gegen die Wand, womit er natürlich seine laut vorgebrachte Forderung selbst konterkarierte. Eines Tages stand mein geschätzter Anwohner vor meiner Tür und begehrte, mich zu sprechen. Ich sah einen kleinen Mann, dessen Gesicht die Farbe einer reifen Tomate hatte und an dessen Stirn die Adern pulsierten wie bei einem untrainierten Langstreckenläufer. Ich solle gefälligst meine nächtlichen Ruhestörungen einstellen, da er immerhin “in der Früh arbeiten gehen” müsse, wofür er “seinen Schlaf” brauche, was ich als “Tagedieb” aber wohl nicht nachvollziehen könne. Ich betrachtete das vor Wut zitternde Männlein und sagte diesem dann, dass ich morgens das Haus zumeist vor ihm verlassen würde und er im übrigen auf seinen Blutdruck achten solle. Er hielt kurz inne, wohl überlegend, ob er zuschlagen solle und falls ja, welche Konsequenzen dies für ihn hätte, drehte sich dann mit soldatischer Zackigkeit um und bebte wortlos die Treppe hinab. Eine Woche später erfuhr ich, dass er mit einem Herzinfarkt im Krankenhaus gelandet war.

Beispiel 2: Kürzlich zogen meine Gattin und ich in eine größere Wohnung, da uns das Leben auf 30 Quadratmetern, garniert mit dauerklopfenden Nachbarn, nicht länger erstrebenswert schien. Nachdem wir den üblichen Übersiedlungsstress weitgehend hinter uns gebracht hatten, wurden wir von einem der neuen Nachbarn auf das allerfreundlichste begrüßt. Der ältere Herr, den ich zuvor noch nie gesehen hatte, stürmte auf uns zu, plusterte sich zur vollen Blockwartautoritätsfigur auf und bellte: “Ihr habt bei euch mit Nitroverdünnung gearbeitet. Meine ganze Wohnung war voll von dem Geruch, ich bekam Kopfschmerzen und konnte nicht mehr atmen. Sollte ich Spätefolgen davontragen, hört ihr von meinem Anwalt.” Bevor wir antworten konnten, war der nette alte Mann davongehoppelt. Wir waren dermaßen verblüfft, das wir laut loslachten, wohl wissend, dass alle Arbeiten in der Wohnung von Professionisten und auf Rechnung erledigt worden waren. Doch Lachen ist verboten, daher kam der mit einem grauen Hut bewaffnete Nachbar zurück und brüllte, dass “in diesem Hause Ordnung” herrsche und, mit einem giftigen Blick auf meine Gattin: "Ausländer brauchen wir hier nicht". Danach machte er sich im Siegestaumel davon, wirre Kommentare über eine drohende bzw. im Gange befindliche “Völkerwanderung” von sich gebend. Während ich seinen Abgang betrachtete, kam mir der Gedanke, dass ich wohl eine Rechtsschutzversicherung abschließen sollte.

Beispiel 3: An einem hübschen, ja herausgeputzten Sommertag war ich mit meinem Auto in einem Teil Klagenfurts unterwegs, den ich selten aufsuche und daher dort nicht alle Straßen kenne. Bester Stimmung parkte ich aus und fuhr los, leider gegen die Einbahn. Das war nicht so tragisch, denn ich wusste es einerseits ja nicht besser, anderseits war die Straße sehr breit und ich musste nur wenige Meter fahren, um wieder auf eine Hauptverkehrsader zu stoßen. Eine sehr elegant gekleidete Dame mittleren Alters, die mir mit ihrem Anwaltskanzleiteilhaberinnenmerzedes entgegenkam, fühlte sich jedoch berufen, Verkehrsbürgerwehr zu spielen, stellte ihren Wagen quer, kurbelte das Fenster herunter und begann zu brüllen. Der Anblick war faszinierend, wie Mr. Spock es ausdrücken würde: Unter der 500-Euro-Frisur und über dem 5.000-Euro-Kleid steckte kein menschlicher Kopf, sondern ein weit geöffnetes Raubtiermaul, dem nicht nur Flüche, die jeden Rapidfan rot werden lassen würden, sondern auch große Mengen Speichel entfuhren. Nachdem sich mein Gesichtssinn beruhigt hatte, konnte ich Worte hören, die, vornehm ausgedrückt, klagswürdig waren. Ich wollte die Frau kalmieren, doch die ließ das nicht zu. Sie machte im Gegenteil anstalten, aus ihrem Wagen zu springen, um die Welt von einem bösen Verkehrssünder zu befreien. Als ich noch sah, dass sie in ihrer Handtasche hektisch nach etwas suchte, packte mich doch die Panik und ich entfernte mich mit Vollgas.

In den Wäldern kursiert bereits das geflügelte Wort, wonach der Wolf dem Wolfe ein Mensch sei, hat mir ein für gewöhnlich gut informierter Specht berichtet. Der von altersentimentalen Leuten gerne vertretenen Meinung, dass früher alles besser gewesen sei, mag ich mich zwar nicht anschließen, doch ist die zunehmende Dünnnervigkeit der lieben Mitbürger auffallend. Zwei mögliche Lösungen sehe ich, um die Generalverbitterung aufzuhalten: Entweder nimmt die Politik wieder ein bisschen mehr Rücksicht auf die Interessen der arbeitenden Bevölkerung, oder man mischt Beruhigungsmittel in die Trinkwasserreservoirs. Man möge sich bitte rasch für eine der beiden Varianten entscheiden, sonst werde ich nämlich ernsthaft grantig!