Montag, Oktober 02, 2006

Auf Wahlkarten warten...

...das ist derzeit die "Beschäftigung" für politisch interessierte Österreicher. Von der Auszählung der Wahlkarten wird nämlich abhängen, ob Jörg Haiders BZÖ im Parlament bleibt oder doch noch rausfliegt. Ginge es nach den Kärntnern, wäre diese FPÖ-Abspaltung zweitstärkste Partei, denn im südlichsten Bundesland hat das BZÖ 25 Prozent erreichen können (SPÖ: 35 Prozent). Rechnet man noch die rund acht Prozent der original fidelen FPÖ hinzu so sieht man, dass das rechtsextreme Lager in Kärnten mit der SPÖ gleichauf ist. Ok, das ist ja schon eine Verbesserung der politischen Lage gegenüber den letzten Landtagswahlen, als Haider mit 42 Prozent einen fulminanten Sieg einfuhr. Dennoch: Was ist los in Kärnten?

Kärnten hat einige der beudetendsten Künstler und Literaten des mitteleuropäischen Raumes hervorgebracht. Andererseits herrscht nirgendwo sonst im weiteren geographischen Umkreis dermaßen viel Kommunikationsunfähigkeit , gibt es so viele bekennende Nazis, ist die politische Kultur derart unterm Hund. Bedingt das eine das andere? Ist was dran an der Theorie, dass extreme äußere Umstände, Leid erzeugende Umstände, der Kreativität förderlich sind? Mag sein. Sicher ist: Wir Kärntner bringen uns gerne um (höchste Selbstmordrate Österreichs). Sicher ist weiters: Wir Kärntner sind arm (niedrigste Kaufkraft Österreichs und gerade im Begriff, von Slowenien wirtschaftlich überholt zu werden).

Sind wir aber auch dumm? Dümmer als die anderen Österreicher?

Ja, das sind wir. Nicht freiwillig. Die Dummheit erwächst hier aus der Angst. Und durch Angst erzeugte Dummheit führt zur Aggression, die dann gegen alles ausgelebt wird, das als "anders" empfunden wird. Diese Angst rührt vor allem aus einem Identitätskonflikt der Kärntner Bevölkerung her. Sie stammt zu einem großen Teil von Slowenen ab, will das aber nicht wahr haben. Wer es zu etwas bringen wollte in Kärnten, musste sich seit spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts als "Deutscher" tarnen. Das führte zu einer schleichenden Selbstgermanisierung - forciert natürlich durch die Naziverbrecher - und in Folge zu einem Verlust des Selbstwertgefühls, dessen traurige Karikatur nur mit den Mitteln des projezierten Hasses aufrecht erhalten werden kann.

Solch ängstliche Menschen ohne echte Identität bilden genau das Biotop, das autoritäre Figuren wie Haider brauchen, um gedeihen zu können. In Kärnten wurde der Mut immer verachtet, Gemeinheit und Feigheit traten an dessen Stelle und wurden zu Mut umgedeutet. Man hasst hier die Partisanen und liebt die Wehrmacht, gerade weil die Widerstandskämpfer mutig waren. Man veranstaltet einen eigentümlichen Kult um den so genannten "Abwehrkampf", eine politisch und militärisch bedeutungslose Aneinanderreihung kleinster Scharmützel, den man zu jenem Widerstand umdichtet, den die Partisanen in der Realität geleistet haben. In der Fantasiewelt vieler Kärntner stritten die "Abwehrkämpfer" für das "Deutschtum" und die Partisanen gegen eben dieses. Später, nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde die nächste Front gegen "das Andere" eröffnet: Künstler wurden gleich scharenweise aus Kärnten verekelt. Dissens wurde und wird nur äußerst ungern geduldet, rührt er doch, ob er es beabsichtigt oder nicht, immer an jene psychische Wunde, die der Identitätskonflikt in den Köpfen hinterlassen hat. Wer sich seiner selbst so unsicher ist wie die Kärntner, der will in der Herde bleiben, der will sein, wo und wie alle sind. Und er dichtet sich die Welt nach seinen Vorstellungen zurecht.

2 Comments:

Anonymous Anonym said...

Lieber Lindwurm,
wie ist es möglich Sie zu kontaktieren,
haben sie eine emailadresse
weil ich eine Anfrage an Sie hätte,
mit freundlichen Grüßen,
Judith Egger
fangnetz@diepresse.com

4:48 PM  
Anonymous Anonym said...

Großes Lob für diese klare und wahre Analyse
lG Ruth

7:11 PM  

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