Montag, Oktober 09, 2006

Songs eines Trostlosen


Wer stets heiter durch das Leben wandelt und nie auch nur den Anflug einer Depression verspürt möge jetzt bitte weiterblättern. Für solche Menschen hat Nick Drake seine Lieder nicht geschrieben. Seine Songs sind den Verlierern gewidmet, den lebensuntüchtigen Träumern, die mit der großen Beleidigung, die man Alltag nennt, nicht zurecht kommen. Drake war die leise Stimme des Zweifels und der Verzweiflung, die gegen den Lärm der gedankenlosen Frohnaturen nicht ankam. Er starb 1974 an einer Überdosis Anidepressiva.

Am 19. Juni 1948 wird Nicholas Rodney Drake in Burma geboren, wo sein Vater als Ingenieur arbeitet. 1951 geht’s zurück nach England, die Familie lässt sich im Shakespeare-Städchen Tanworth-in-Arden nieder. Früh lernt Nick Klavierspielen, interessiert sich zunächst aber mehr für Klassik als für Blues und Folk. In der Schule deutet nichts darauf hin, dass der junge Drake auf die Verliererstraße einbiegen würde: Er ist Captain des Rugby-Teams, ein hervorragender Leichtathlet und beliebt bei den Mädchen. Er beginnt, sich für die Beatles, Bob Dylan und Randy Newman zu interessieren und bittet seine Eltern, ihm eine Gitarre zu kaufen. Binnen weniger Monate fängt er an, Songs zu schreiben. Kurz danach tritt er in kleinen Clubs in Cambridge auf und beeindruckt dort Ashley Hutchings, der bei den Folkrockern von „Fairport Convention“ mitgeigt. Hutchings spielt den Bossen von Island Records ein paar Demos von Nick vor und die nehmen den gerade mal 20-Jährigen unter Vertrag.

Drei Alben nimmt Drake im Laufe von drei Jahren auf, und alle sind sie zu Lebzeiten des Künstlers erfolglos. Den Start macht 1969 “Five leaves left”, wo sich schon zeigt, dass da ein ganz außergewöhnlicher junger Mann am Werk ist. Der Titel der Platte bezieht sich auf die Warnung, die allen Selberdrehern und Jointfabrikanten bekannt sein dürfte, dass nämlich nur mehr fünf Blättchen Zigarettenpapier vorhanden sind. Schon auf seinem Debutwerk klingt Nick anders als die folkige Konkurrenz. Die offenen Tunigs für seine Gitarre sind so eigenwillig, dass manche seiner Lieder bis heute nicht richtig transponiert werden konnten, seine Stimme ruft Bilder hervor von vielen leergerauchten Zigarettenpackungen und von der Verlassenheit niedergebrannter Lagerfeuer, die im Finstern nachglimmen, nachdem die Party längst vorbei ist.

1970 schiebt Nick den Longplayer “Bryter Layter” nach, der aber auch nicht den erhofften Durchbruch bringt, obwohl promiente Kollegen wie das Gitarrengenie Richard Thompson aushelfen. Der ausbleibende Erfolg liegt zu einem großen Teil auch daran, dass Drake sich weigert, auf Promo-Tour zugehen. Die ersten Symtome einer schweren Depression haben eingesetzt und Nick fürchtet sich vor Liveauftritten. Neuere Studien deuten an, dass Menschen mit einer Prädisposition für psychische Erkrankungen von exzessivem Haschischkonsum die Finger lassen sollten, ganz zu schweigen von LSD. Drake hat über Jahre hinweg Joints geraucht wie andere Leute Zigaretten (wobei er die Krebstorpedos zusätzlich in Massen konsumierte), und gerne trippte er auf Dr. Hofmanns Elixier. Während viele andere Psychonauten sanft landeten, krachte Nick in die Schluchten seiner Seele, aus denen er nie mehr herausfand.

Zum musikalischen Misserfolg kommt ein privates Desaster: Nick, patholgisch menschenscheu, verliebt sich und gesteht der Frau nach Monaten endlich seine Zuneigung, doch sie lässt ihn eiskalt abblitzen. Das verstärkt bei Drake das Gefühl, ein Loser zu sein, ein Außenseiter, der zwischen sich und der Welt eine unüberwindbare Mauer vorfindet. Nach “Five leaves left” schmeißt er auch noch sein Studium zwei Monate vor dem Abschluss hin und zieht nach London. Sein Vater beschwört ihn, doch nicht die “Sicherheit” einer brotberuflichen Ausbildung wegzuwerfen, aber Nick antwortet: “Sicherheit ist genau das, was ich nicht will.” Bei einem Kurztrip nach Frankreich lernt er die Chanteuse Francoise Hardin kennen und lieben. Von der jungen Parisiern mit den traurigen Augen fühlt Drake sich verstanden. Doch eine längere Beziehung wird daraus nicht.

Fast zwei Jahre lang arbeitet Nick dann an seinem letzten Werk, dem Klassiker “Pink Moon”. Der Titelsong wurde Anfang der 90er von VW für eine Werbekampagne missbraucht, was wohl einen Tiefpunkt der ohnehin nicht gerade überschäumenden Sensibilität der Werbebranche darstellt. “Pink Moon” und VW Golf, das ist wie Black Metal und Vatikan, also unvereinbar. Die Platte klingt nach der Abgeklärtheit des Selbstmörders, der fast amüsiert auf den Misserfolg seines Lebens zurückblickt. Lieder wie “Parasite of this Town” erzählen von einem jungen Mann, der keine Zukunft sieht, sondern nur Schmerz und Erniedrigung. Gesungen werden die schwarzen Balladen mit einer Stimme, die von mehreren Packungen Zigaretten pro Tag und einer Scheu vor dem eigenen Klang gezeichnet ist.

Nachdem auch diese Platte floppt, fällt Drake endgültig in ein bodenloses Loch. Er hält sich für auf allen Linien gescheitert, weiß nicht, was er mit seinem Leben anfangen soll. Nach einem Besuch beim Psychiater ist er nur noch depressiver. “Welchen Grund gibt es, weiterzuleben?”, fragte er einen Freund. Zunehmend verwirrt will er sich bei der Armee melden, fällt aber mit Karacho durch den Aufnahmetest. Dann hat er die glorreiche Idee, Computerprogrammierer zu werden, meldet sich bei einer Londoner Firma, schmeißt den Job aber nach einer Stunde hin. Er trifft sich nicht mehr mit seinen Freunden, zieht sich zurück und schreibt Lieder über den Tod. 1974 kann sich Nick noch ein letztes Mal dazu aufraffen, in ein Tonstudio zu gehen. Das letzte Lied, das er je aufnimmt, handelt von einem schwarzäugigen Hund, der - als Symbol des Jenseitigen, des Todes - den Namen des Sängers ruft. Der Song endet mit den bestürzend resigniert gesungenen Worten “I am tired and I wanna go home”. Damit bringt Nick seinen Gefühlszustand wenige Tage vor seinem Tod auf den Punkt: Er hat die Schnauze voll. Das Musikbusiness, das ihn anekelt, die lieben Mitbürger, die in ihm nur einen gescheiterten Schmarotzer sehen, ja die ganze Welt - alle können sie ihm den Buckel runter rutschen, sie interessieren ihn nicht mehr.

Am 25. September 1974 geht Nick im Haus seiner Eltern in Tanworth-in-Arden zu Bett. Weder seine Mutter, noch seine Schwester bemerken irgendwelche Alarmzeichen. Am nächsten Tag wird er mit einer Überdosis Tabletten im Bauch tot aufgefunden. Abschiedsbrief hinterlässt er keinen, bis heute ist es umstritten, ob er Selbstmord begangenen hat oder einfach nur versehentlich zu viele Antidepressiva geschluckt hat. Einmal im Jahr spielt der Organist der örtlichen Kirche Nicks Lieder. Inzwischen ist man in Tanworth-In-Arden nämlich stolz auf den einstigen “Parasiten der Stadt”.