Sonntag, Dezember 17, 2006

Eine Straße im Kopf


Tim Hardin, der heroinsüchtige Troubadour

England 1980. Der fast vergessene amerikanische Singer-Songwriter Tim Hardin gibt sein letztes Interview. Der Reporter vermeidet es, den verwirrten Sänger auf dessen Heroinprobleme anzusprechen, aber Hardin geht in die Offensive: “Du denkst, ich sei auf Heroin? Bin ich aber nicht. Siehst du etwa irgendwo Einstichlöcher?”. Er zieht sein Hemd aus, um den Journalisten zu überzeugen, und der sieht, dass Hardins Arme mehr Löcher haben als das Gedächtnis von Ozzy Osbourne. Hardin ist so high, dass er tatsächlich fantasiert, er sei clean. Zwei Wochen später mischt der 39-Jährige Morphium mit Heroin und stirbt an einer Überdosis.

Asien in den 50er Jahren. Ein Mann Soldat namens Hardin hängt mit ehemaligen US-Soldaten ab, die den Horror des Korea-Krieges erlebt haben und wie viele andere, die im Namen des Freihandels in Asien ihren Arsch in den Kugelhagel halten mussten, ein Mittelchen gegen Angst und Alpträume gefunden haben: “China White”, eine besonders reine Heroinsorte. Zurück in den USA widmet sich Tim nur mehr zwei Dingen: Lieder schreiben und Stoff besorgen. Hardins Kompositionen werden rasch unter das damals populäre Label “Folk” eingeordnet, und tatsächlich sind Songs wie “If I were a carpenter”, “Reason to believe” oder “Red Balloon”, die Hardin 1967 veröffentlicht, oberflächlich betrachtet bestes Rohmaterial für Lagerfeuer-Wanderklampfen-Fußgeherzonen-Sentimentalitätsbelästigung. Was Hardin aber einzigartig macht, ist die Art, wie er singt. Mit seiner verrauchten Selbstmörderstimme haucht Tim den Liedern eine schmerzhafte Authentizität ein, die sie zu großer Poesie machen. Zwischen Blues und Soul souverän mäandernd, wie es später nur noch Van Morrison fertig bringen sollte, singt Hardin über die Suche nach der bedingungslosen Liebe, die zwangsläufig erfolglos verlaufen muss.

Nach Hardins kreativem Outburst von 1967 zählt er zu den ganz großen Songwritern. Sogar Bob Dylan outet sich als Fan. Tim aber fällt in ein schwarzes Loch aus Depressionen, Paranoia und Schreibblockade, all das garniert mit exzessivem Heroinkonsum. Die Musikpresse will ihn schon totschreiben, als er 1970 sein Opus Magnum veröffentlicht: “Suite for Susan Moore and Damian”, ein Konzeptalbum über seine große Liebe, die Schauspielerin Susan Yardley und den gemeinsamen Sohn Damian. Susan hatte ihn kurz zuvor verlassen und Damian mitgenommen, da sie das Zusammenleben mit dem emotional höchst instabilen Junky nicht mehr aushielt. “Suite” ist eine jener Platten, die dem Hörer wie ein Grabstein auf den Schädel knallen. Nie zuvor hat jemand seine Qualen, Sehnsüchte und Träume so ungeschminkt in Worte und Musik gefasst. Ganz direkt und dennoch ungemein poetisch kommt dieses Meisterwerk daher, und wer bei der musikalischen Kindheitserinnerung “Last sweet Moments (of a childhood dream)” nicht Tränen vergießt, hat kein Herz. Trotz aller Finsternis schillert in manchen Singles, die Hardin zwischendurch veröffentlicht, auch seine andere, humorvolle Seite durch. Im von anarchistischen Ideen inspirierten “Simple Song of Freedom” schlägt er etwa vor, Präsidenten, Könige, Premierminister und andere Arschlöcher, die gerne Krieg führen, in eine Kampfarena zu sperren, wo sie sich gegenseitig umbringen können. Und in “Old time smuggeling man” verspricht Tim, dass er alles, was illegal ist, besorgen könne, wenn man ihn dafür nur bezahle. Herrlich unmoralisch ist etwa die Zeile aus diesem Song “I sell guns to the Arabs / I sell Dynamite to the Jews”.

Ein Jahr später schiebt Hardin die LP “Bird on a Wire” nach, eine Mischung aus Coverversionen und Eigenkompositionen. Unterstützt von einer kompetenten Studioband, zu der auch Joe Zawinul gehört, interpretiert Tim Songs von Leonard Cohen, John Lee Hooker und anderen. Bluesig geht es hier zu, und zwar auf die unheimliche, finstere Art. Zu den von Hardin geschrieben Liedern zählt das autobiographische “Andre Johray”, das von einem “Freund mit einer Straße im Kopf” erzählt und die wohl kürzeste und dennoch genaueste Kapitalismusanalyse in Reimform enthält (“Will we ever run free of those worldly wantings / that sent the unhungry out hunting?”).

Nach diesem Album ist Sendepause. Hardin zieht nach England, da es im Königreich damals für schwer Heroinabhängige Stoff vom Staat gibt. In fast zehn Jahren veröffentlicht Tim gerade mal drei Platten, die man eher vergessen kann. Er ist künstlerisch genau so ausgebrannt, wie er körperlich und seelisch am Ende ist. Sechs Tage nach seinem 39. Geburtstag setzt er sich die finale Spritze.